"...da wird auch dein Herz sein" - Predigt zu Matthäus 6,19-21

„Da kriegst du doch die Motten“;
„Dem wünsche ich die Motten in den Pelz.“,
„Da kommen sie wie die Motten ans Licht“.

Nein, liebe Gemeinde, sie gelten nicht gerade als Sympathieträger der Zoologie, die Kleinschmetterlinge mit den etwa 1 cm schmalen Flügeln, deren Raupen Wolle, Seide, Pelzwerk und Tapeten befallen, zu deren Synonymen, also anderen Ausdrücken, der „Nachtfalter“ gehört.

Das immerhin lässt uns hier in Troisdorf aufhorchen, ist doch der „Nachtfalter" Namensgeber für die alternativen Gottesdienste hier in der Stadtkirche – heute Abend um 19 Uhr, „Nachtfaltergottesdienst“ sie sind herzlich eingeladen.

Was tun die Viecher?

Sie zerfressen Dir den Pelz, nagen wie der Rost am Geld, an dem bisschen, was du Dir angehäuft hast und fügen Dir Schaden zu am Eigentum.

Und haben gerade darin therapeutischen Wert in unserer konsumorientierten Zeit und jeder Lebenshaltung, die Besitz und Güter in ihrem Wert für das Mensch-sein maßlos überschätzt.

Jesus selber jedenfalls bediente sich der Motten, um den Menschen in der Bergpredigt die Frage vorzulegen, was ihnen wirklich am Herzen liegt: Matthäus 6, 19 bis 21 in der Kirchentagsübersetzung:

Häuft nicht auf der Erde Schätze für euch an,
wo Motten und Rost sie vernichten,
wo eingebrochen und gestohlen wird.

Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an,
wo weder Motten noch Rost sie vernichten,
wo weder eingebrochen noch gestohlen wird.
Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
Die Motten gelten seither als Symbol der Vergänglichkeit. Der Zahn der Zeit, der all jenes anfrisst, was wir meinen als Sicherheit sicher in Händen zu halten. Ein großes Missverständnis, über das uns manchmal eher zufällig die Augen geöffnet werden.

Davon erzählt Johann Peter Hebel in seinem „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“, jener Sammlung von Kurz- und Kalendergeschichten, die vor 200 Jahren erschien, eine eindrückliche Geschichte:

Da kommt ein deutscher Handwerksbursche ins reiche Amsterdam und ist erschlagen von der Pracht der Stadt. Vor einem prächtigen Haus bleibt er stehen und fragt einen Vorübergehenden, wem das Haus gehöre. Und der, des Deutschen nicht mächtig, antwortet „kurz und schnauzig: `Kannitverstan´; und schnurrte vorüber.

Dies war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man’s recht betrachtet und heißt auf Deutsch soviel, als: Ich kann euch nicht verstehn.

Aber der Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muss ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er und ging weiter.“

Dann kommt er an den Hafen, sieht wie ein mächtiges Schiff entladen wird, mit Fässern voll Zucker und Kaffee. Und er fragt einen, der eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waren an das Land bringe. Und bekommt wieder zur Antwort: „Kannitverstan“.

Schließlich begegnet er einem Leichenzug und „es ergriff unsern Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht.“

Er „machte sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Zentner um 10 Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Exküse: „Das muss wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein…dass Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht.“ „Kannitverstan!“ war die Antwort.

Da fielen unserem deutschen Handwerksburschen ein paar große Tränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannitverstan!“, rief er aus, „was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leintuch und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust…“


Heilsame Geschichte, die im Missverstehen zur Erkenntnis führt: Dass wir wohl Vieles auf Erden unser Eigen nennen können, es aber vor Gott und im Licht seiner Ewigkeit keinen Pfifferling wert ist.

Nicht also Schätze sammeln auf Erden!

II.
Das müssen wir noch lernen, ihr Lieben, in unserer Welt und Gesellschaft, die eben keine Gesellschaft mehr ist, in der von der Hand in den Mund gelebt wird, sondern eine, in der es ohne Anhäufen von Kapital und Reichtum gar nicht mehr zu gehen scheint.

Altersvorsorge im Privaten, Kapitalbildung in der Wirtschaft, Bankerboni… Ach, ihr Lieben, ich erspar uns die Beispiele.

Die Logik dahinter ist immer gleich: Erst wer mehr hat, als er braucht, kann sicher sein, genug zu haben, um zu leben.

Und schnell wird aus dem, was ein Grundbedürfnis des Menschen ist, nämlich sicher zu sein, genug zum Leben zu haben, in Würde leben und alt werden zu können, wird aus diesem Grundbedürfnis eine Spirale der Anhäufung. Ein riskantes Spiel mit immer mal wieder großem Fall.

Insofern ist Jesu Wort vom Fraß der Motte heilsam, als dass sie uns daran erinnert, dass wir Sicherheit beim Besten willen nicht erreichen können; dass es trügerisch ist, sich auf Hab und Gut verlassen zu wollen.


Darum:

Häuft nicht auf der Erde Schätze für euch an, wo Motten und Rost sie vernichten, wo eingebrochen und gestohlen wird.

Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an, wo weder Motten noch Rost sie vernichten, wo weder eingebrochen noch gestohlen wird.

Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
Will’s so verstehen, dass ich mich davon nicht abhängig machen soll, von dem Streben nach Sicherheit durch immer mehr.

Mein Herz nicht dran hängen soll, das Herz als Ort meines Fühlens und Wollens, der Identität eines Menschen: Nicht festmachen an dem, was ich erworben und angehäuft habe.

Ich bin nicht mein Kapital, mein Haus, meine Altersvorsorge, mein Gehalt.

Und kritisch bleiben soll gegenüber dem gesellschaftlichen und in der globalisierten Welt immer größeren Druck, Schätze zu sammeln, anzuhäufen, Kapital zu bilden, Vorteile zu verschaffen.

III.
Freilich rührt die Haltung an Grundfesten des Systems, in dem jeder seines eigenen Glückes Schmid zu sein hat. Der eine kann‘s, die andere nicht.

Wo einige Schätze auf Erden anhäufen können, gibt es immer andere, die in die Röhre schauen.

Es geht aber auch anders. Zum Beispiel:

Namibia ist das Land mit der weltweit größten Einkommensungleichheit. Einige, die weit mehr haben, als sie zum Leben brauchen und also Schätze sammeln können auf Erden. Und andere, denen das tägliche Brot fehlt.

Nicht zuletzt auf Betreiben der Kirchen hin experimentiert Namibia mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, einem Basic Income Grant.

In einem ausschließlich aus Spenden finanziertem Pilotprojekt erhalten die 940 Einwohner des Ortes Omitara zwei Jahre lang monatlich 100 NamibiaDollar als Grundeinkommen.

Nach zwei Jahren Pilotprojekt zeigt sich, dass praktisch kein Kind des Dorfes mehr unternährt ist. Vor der Einführung des Basic Income Grants war fast die Hälfte der Kinder davon betroffen.

Inzwischen beenden rund 90 Prozent der Kinder die Grundschule, zuvor lag dieser Anteil bei 40 Prozent.

Die öffentliche Klinik im nächstgrößeren Ort wird nun vier Mal so stark genutzt.

Das BIG hat auch unternehmerische Aktivitäten angestoßen, wird berichtet. So begann eine Frau mit dem Geld Brötchen zu backen und hat nun eine kleine Bäckerei etabliert, ein Mann stellt Ziegel für den lokalen Gebrauch her.

Entscheidend ist dabei, dass die Menschen eine erste Ausstattung für die Unternehmung kaufen können, und dass andererseits ausreichend Kaufkraft im Dorf vorhanden ist, die Produkte zu kaufen.

Laut Polizeistatistik haben Fälle von Wilderei und Holzdiebstahl um 60 Prozent abgenommen.

Um zu verhindern, dass das Geld vertrunken wird, haben die Dorfbewohner ein Komitee gegründet, um sich gegenseitig zu beraten, wie mit dem Geld umzugehen ist. Es wurde vereinbart, dass die Kneipen des Ortes am Auszahlungstag geschlossen bleiben.

Und das BIG für die Kinder wird in der Regel nur an Frauen ausbezahlt.

Insgesamt wird das Fazit gezogen, dass sich die Machtverhältnisse im Ort geändert haben: die Stellung der Frauen hat sich verbessert, und die Dorfbewohner sind selbstbewusster gegenüber den umliegenden weißen Farmern geworden.

Die aber sind teils gar nicht gut darauf zu sprechen, sehen ihre Felle davon schwinden, ihren Reichtum von Motten zerfressen.(Quellen: u.a. Wikipedia; Informationen auf der Kreissynode An Sieg und Rhein).

Häuft euch nicht Schätze auf Erden an, sorgt lieber dafür, dass alle genug zum Leben haben. Für viele – nicht nur in Namibia, noch eine fremde Welt.

IV.
Sie wäre aber dem Himmel näher.

Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an, wo weder Motten noch Rost sie vernichten, wo weder eingebrochen noch gestohlen wird.

Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
Dass der Blick weg gelenkt wird von dem Bedenken-Tragen und Sorgen hin zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, die sich in aller Vergänglichkeit getragen und gehalten wissen von dem, der der Ewige heißt.

Und eben darum sich im hier und jetzt frei wissen gegenüber ihrem Hab und Gut, gegenüber Kapital und Geld, Macht und Besitz.

Und Motten unter Artenschutz stellen und Nachtfalter. Die übrigens haben ihren Namen, weil sie ihre Flügel in Ruhe zusammenlegen wie gefaltete Hände. Und wer das tut, dessen Herz weiß um mehr als Gut und Geld.

Also, kommen Sie heute Abend zum Nachtfalter-Gottesdienst. Den Pelz können Sie ruhig zu Hause lassen.

Kommentare

  1. Lieber Pfarrer Pistorius,
    ich freue mich, dass Sie das Beispiel Omitara in Ihrer Predigt erwähnten.
    Was für die 940 Einwohner des Ortes Omitara gut ist, wäre auch für alle Einwohner Namibias gut.
    Was für die 940 Einwohner des Ortes Omitara gut ist, wäre auch für alle Einwohner aller Länder unserer Erde gut.
    Die Predigt ist sehr gut geeignet, um die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens zu unterstützen.
    Deutschlandweit, europaweit, weltweit.
    Leider wird auch durch die Parteien mit dem C eine Entsolidarisierung in Deutschland vorangetrieben.
    Kirchliche Aktivitäten in Wort und Tat können dem wirkungsvoll entgegenwirken.
    Neben dem Grundeinkommen sollte die Kirche ein faires, krisenvermeidendes Finanzsystem unterstützen. Dann sind Motten und Rost entbehrlich(er).

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